Hand drauf! Das Berühren der Skulpturen von Tony Cragg (hier: „Stack“ von 2019) ist ausdrücklich erlaubt. Foto: bikö

Jeder Museumsbesucher weiß, was Heinz Erhardt einst wie folgt formulierte: „Das Berühren der Figüren mit den Pfoten ist verboten.“ Doch dieser Satz gilt nicht in der neuesten Schau des Düsseldorfer Kunstpalastes. Direktor Felix Krämer hat wieder einmal das Unmögliche geschafft. Er macht Skulpturen im wahrsten Sinne des Wortes fühlbar.

Besonders andächtig ertasten Besucherinnen den „Stone Head“ aus Travertin. Foto: bikö

Sein Komplize bei dem Experiment ist Tony Cragg (74), Brite, Wahl-Wuppertaler, Ex-Rektor der Düsseldorfer Akademie, Chef des Künstlervereins Malkasten und vor allem ein grandioser Bildhauer. „Please touch“, bitte anfassen, heißt es in seiner Ausstellung. Das Publikum lässt sich das nicht zweimal sagen.

Kühler, spiegelnder Edelstahl: „Justine“ von Tony Cragg. Foto: bikö

Am Sonntag war der Andrang teilweise so groß, dass sich eine lange Warteschlange quer über den Ehrenhof gebildet hatte. Und es wurde manchmal richtig eng in den Sälen im ersten Stock. Die 30 großen Skulpturen sowie eine Vielzahl von kleineren Werken könnten mehr Luft gebrauchen. Aber wir sind hier ja nicht im Wald beziehungsweise in Craggs Wuppertaler Skulpturenpark Waldfrieden, wo seine Werke wie geheimnisvolle Gewächse zwischen alten Bäumen stehen. Vielleicht ist es die Erfahrung mit dem Park, die Cragg so gelassen sein lässt. Schließlich trotzen die Plastiken dort nicht nur der Witterung, sondern werden selbstverständlich auch angefasst wie jedes Denkmal unter freiem Himmel.

Zwischen Abstraktion und Figuration: In „Mental Landscapes“ erscheinen verzerrte Gesichter. Foto: bikö

Geist im Stein

Drinnen hingegen herrscht normalerweise ein streng kontrolliertes Abstandsgebot. Nur Sammler von Craggs Werken können ihre Schätze nach Herzenslust berühren. „Manche streicheln meine Arbeit“, hat der Künstler festgestellt. Und dass viele Betrachter seiner Skulpturen einen ähnlichen Impuls haben. Sie wollen die Oberflächen so gern mal mit der Hand erkunden. Das dürfen sie jetzt. Kein Museumswächter geht dazwischen. Die Stimmung im Museum ist besonders, eine Art freudiger Erwartung. Einzelne Menschen, Paare, ganze Familien kommen den Exponaten ganz nah, strecken behutsam die Finger aus, diskutieren über das Gefühl, lächeln.

Ganz nah kommt das Publikum der Kunst von Tony Cragg. Links: der „Connoisseur“, rechts „We“. Foto: bikö

Gleich vorne steht, rot lackiert, eine jener Holzarbeiten, die Cragg aus feinen, mit kleinsten Verschiebungen aufeinander gesetzten Scheiben konstruiert. Dadurch entstehen anmutige Schwingungen, leicht wie eine Zeichnung und doch ganz fest und kompakt. Die Ränder der verarbeiteten Scheiben werden zu feinen Rillen wie die Jahresringe in einem natürlich gewachsenen Baumstamm – und so fühlen sie sich an. Ganz glatt hingegen sind die „Companions“ aus farbgesprenkeltem Fiberglas, die sich türmen wie gebündelte Pflanzen. Im „Stone Head“ (Steinkopf) aus Travertin kann man vage ein menschliches Profil erkennen und ertasten: Lippen, Nase. Als würde sich ein Gnom aus einer nordischen Sage im Fels verstecken …

Glatte Sache: Aus Fiberglas sind die „Companions“, im letzten Jahr entstanden. Foto: bikö

Figur oder abstrakt?

Tony Cragg liebt dieses Spiel mit Abstraktion und Figuration. Seine bronzenen „Manipulations“ sind Gebilde, die aus überdimensionalen Händen zu wachsen scheinen. Oder auch nicht. Die „Group“ aus Holz wirkt wie eine über Jahrmillionen ausgewaschene Gesteinsformation, in der die Fantasie auch Gestalten vermuten kann. In „Mental Landscapes“, geistigen Landschaften, erscheinen eindeutig breitgezogene Gesichter. Aus dem Antlitz des Künstlers selbst, mit Gips abgeformt und vervielfacht, wuchs etwas wie ein mannshoher, in Bronze gegossener Tannenzapfen mit Nasen und Ohren, ironisch „We“ (wir) genannt. Es ist das Leibliche, es sind Gesten und Gefühle, woraus letztendlich alle Skulpturen Tony Craggs entstehen, auch das „Thicket“ (Dickicht), das an Algen erinnert, oder der riesige Röhrenwurm, den Cragg als „Connoisseur“ (Kenner) bezeichnet.

Aus lauter wimmelnden Menschlein besteht die Bronzeskulptur „Wave“. Foto: bikö

Sehr selten wird Cragg so deutlich wie in der „Wave“, einer hohen Bronze-Welle, die aus wimmelnden Menschlein besteht, die aufsteigen und hinabstürzen, mitgerissen, in erschreckender Wahrhaftigkeit. Das Publikum ist hoch inspiriert. Es werden Details genau studiert, Strukturen fotografiert, Öffnungen erkundet, Selfies arrangiert, Fingerabdrücke auf spiegelndem Edelstahl hinterlassen.

Imponierend: eine „Group“ aus sorgfältig bearbeitetem Schichtholz. Foto: bikö

Fast wünscht man sich mehr Ruhe, um ein Kunstwerk auch mal mit Abstand zu betrachten. Im letzten Raum hat der Künstler einige Regale aus seinem Atelier installiert – voll mit Materialien, Modellen, Werkzeugen, allerlei Krimskrams. Sehr persönlich, äußerst aufschlussreich. Aber hier gilt: Nur gucken, nicht berühren!

Blick in die Werkstatt des Meisters: Im letzten Raum hat Tony Cragg einige Regale aus seinem Atelier installiert. Foto: bikö

Was, wann und wo?

„Tony Cragg: Please touch“. Bis 26. Mai im Kunstpalast Düsseldorf,. Ehrenhof 4-5. Di.-So. 11 bis 18 Uhr, Do. bis 12 Uhr. Eintritt: 16 Euro, Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren frei. Die Teilnahme an öffentlichen Führungen (Do., 18 Uhr, und So., 12 Uhr) kostet 5 Euro extra. www.kunstpalast.de

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