Riesenhafte Ur-Mutter: Eine „Big Mom“ aus Filz, Draht und Rosshaar baute der mongolische Künstler Unen Enkh. Foto: bikö

Von der „Heilung der Erde“ träumt eine Ausstellung zur Deutsch-Mongolischen Freundschaft in der Düsseldorfer Kunsthalle. Mit der Säuberung des Vorplatzes könnte man schon mal anfangen. Kippen, Kaugummis und Abfälle der gemischten Art verschandeln den Eingangsbereich des städtischen Kulturinstituts, dessen geplante Sanierung kein Grund für Schlamperei sein sollte. Sogar der 1971 aufgestellte „Habakuk“ von Max Ernst ist, wie so viele Außenskulpturen in der Stadt, verschmutzt und mit Kritzeleien unsäglich beschmiert. Drinnen lernt man dann von der Kunst, dass eine Oberfläche stets auf innere Zustände schließen lässt.

Blamabler Anblick: Der „Habakuk“ von Max Ernst vor der Kunsthalle ist genauso beschmiert wie die Mauern. Auf dem Vorplatz liegen Kippen und Müll. Foto: bikö

Die Wärme des Filzes war für den rheinischen Kunstschamanen Joseph Beuys (1921-1986) ein Symbol für Schutz und Geborgenheit. Er wurde nicht müde zu erzählen, dass nomadische Tataren ihn im 2. Weltkrieg nach einem Absturz über der Krim mit Fett und Filz gewickelt und gerettet hätten. Auch in der mongolischen Kultur hat der isolierende Wollfilz eine zentrale Bedeutung, es werden daraus Jacken, Schuhe, Teppiche gemacht, ganze Jurten, jene unverwüstlichen Zelthäuser – und Kunst.

Große Mutter aus Filz

Aus Filz, Draht und Rosshaar konstruierte Unen Enkh, der 1958 in der Mongolei geboren wurde und seit 1988 als Bildhauer in Deutschland lebt, seine eigene riesenhafte Venus. „Big Mom“, große Mutter, nennt er die kopflose Figur mit rundem Bauch und Brüsten, inspiriert von der winzigen, vor 40.000 Jahren von Mammutjägern geschnitzten „Venus“, die 2008 in einer Höhle auf der Schwäbischen Alb entdeckt wurde. Enkh war beeindruckt von der geballten „Monumentalität“ der sechs Zentimeter großen Ur-Skulptur – und hat sie entsprechend vergrößert.

Mit Filz arbeitet auch Munkhtsetseg Batmunkh – hier vor ihrem dreiteiligen Wandobjekt „Father, Mother, Me“. Foto: bikö

Munkhtsetseg Batmunkh aus Ulaanbaatar arbeitet ebenfalls mit Filz. Für „Father, Mother, Me“, ihre Eltern und sich selbst, bestickte sie malerische Wandbehänge mit Filzgewändern – das hätte Beuys gefallen. Ihre Kollegin Nomin Bold denkt über das Leben hinaus, das Thema ihrer durchaus farbenfrohen Totenkopf-Teppiche und Bilder ist die Sterblichkeit. Auch um Seelenwanderung geht es. Die Geister der Ahnen schweben gewissermaßen über der Ausstellung.

Keine Angst vor Totenköpfen hat Nomin Bold. Sie malt, näht und knüpft farbenfrohe Bilder von der Vergänglichkeit. Foto: bikö

Die Wölfe tanzen

Natürlich wird auch Dschingis Khan, der kämpferische Gründer des Mongolischen Reichs im frühen 13. Jahrhundert, beschworen. Nein, wir dürfen jetzt bitte nicht an den Disco-Hit von Les Humphreys denken! Der große Anführer ist legendär. Nach ihm wurde auch das Chinggis Khaan National Museum benannt, das in Sachen deutsch-mongolischer Freundschaft mit der Düsseldorfer Kunsthalle kooperiert.
Dabei ist keine völkerkundliche Ausstellung entstanden. Die tiefen Erklärungen der mongolischen Tradition und Spiritualität bleiben dem Publikum schleierhaft, aber sie sind in jedem Raum zu spüren.

Cool, aber heilig: Gottheiten und der spirituell aufgeladene Wolf gehören zum Werk des Mongolen Baatarzorig Batjargal. Foto: bikö

Ein Wolf und eine Hirschkuh sollen die Stammeltern des Khan gewesen sein. Wolfmenschen tanzen auf den Bildern von Gerelkhuu Ganbold. Bei Baatarzorig Batjargal gehören eine Figur mit Wolfsmaske und ein Video mit Wölfen zu der Installation „Alpha“, während er auf einem stillen Bild allerlei Götter, Heilige und Adelige würdigt. Javkhlan Ariunbold (34) studierte an der Kunstakademie in Münster und produzierte ein dreiteiliges Video über eine mongolische Familie im Konflikt mit dem Rohstoffabbau. Ein sachliches Thema. Doch daneben zeigt die junge Frau eine gestische Malerei, die an die büffelköpfige Todesgottheit Yama erinnern soll. Denn die Geister schlafen nicht …

Lustvolle Arbeit

Mit großem Respekt begegnen beteiligte westliche Künstler der mongolischen Kultur. Thomas Stricker ritt schon vor 30 Jahren monatelang durch die Mongolei, eine zarte Projektion von Pferden und Kamelen in weiter Landschaft flimmert über eine Bodenplatte. An der Wand hängen Videos von Interviews mit Männern und Frauen der Steppe, die Stricker in diesem Jahr nach ihrem Leben fragte. Es lohnt sich, genau hinzusehen und die Kopfhörer aufzusetzen.

Auch westliche Künstler*innen gehören zur Ausstellung im Geist der Mongolei: Hier steht die Bildhauerin Claudia Mann vor einem Wandregal mit ihrer keramischen Serie „Headrest“. Foto: bikö

An schamanische Masken oder Kopfbedeckungen erinnern die auf einem Wandregal aufgereihten Keramiken der Serie „Headrest“, die seit 2019 von der Düsseldorferin Bildhauerin Claudia Mann fortgesetzt wird. Eine figurative Kopfstütze, die sie im Pariser Louvre entdeckt hatte, war vor Jahren ihre Inspiration. Immer wieder schafft Claudia Mann neue Köpfe, die mal Porträts sind, mal wilder Ausdruck, mal beruhigend – eine, wie sie sagt, „lustvolle Arbeit“. Und beeindruckend. Nur mit der Mongolei hat das nichts zu tun.

Auf dem Heimweg

Aber da gibt es mehr im ersten Stock der Kunsthalle. Gan-Erdene Tsend, der in Münster studierte und lebt, malte einen monumentalen „Heimweg“ durch die menschenleere Steppe. Der Pfad führt zurück in seine Kindheit, in Richtung der geliebten Großeltern. Doch die Gegenwart hat in der weiten Landschaft ihre Spuren hinterlassen: Plastikmüll und Wodkaflaschen liegen auf der Erde und stören die Balance.

Der „Heimweg“ durch die Steppe ist das große malerische Sehnsuchtsthema von Gan-Erdene Tsend (hier neben Kuratorin Alicia Holthausen). Foto: bikö

Von Sehnsucht handelt auch die Installation von Otgonbayar Dashdorj, die sich für ein Video durch ein wildes Gewässer auf ein einsames Inselchen vorkämpfte, um sich selbst zu finden („Finding myself“). Immer wieder wird die Harmonie von Mensch und Natur in dieser Schau beschworen. Berge, lernen wir, werden in der Mongolei wie Heilige verehrt, der Heimatberg gilt vielen als beschützender Vater. Dem „Father Mountain“ widmet die 58-jährige Künstlerin Keramikreliefs, die an durchsichtigen Fäden von der Decke hängen – so zart wie ein Gebirge in weiter Ferne.

Mit einer Wasserdurchquerung auf Video und Keramiken für „Father Mountain“ beschwört Otgonbayar Dashdorj die Harmonie zwischen Mensch und Natur. Foto: bikö

Was, wann und wo?

„Heilung der Erde: 50 Jahre Deutsch-Mongolische Freundschaft“. 18 beteiligte Künstler*innen. Bis 8. September in der Kunsthalle Düsseldorf, Grabbeplatz 4. Di.-So. 11 bis 18 Uhr. Eintritt: 6 Euro. www.kunsthalle-duesseldorf.de

Leave a Reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *